Ein roter Job

Ferdinand von Schirach schreibt in seinem Buch Nachmittage über einen Freund, der nicht an Gott glaubt. Dieser Freund aber “vollführt alle Riten der katholischen Kirche, Aufstehen, Kreuzzeichen, Schuldbekenntnis, An-die-Brust-Schlagen, Knien, Beten, Glaubensbekenntnis. Er wolle nur höflich sein”, schreibt Schirach.

Ich bleibe hier stehen und denke über diese Geschichte nach. Dazu hätte ich auch etwas zu erzählen. Es ist Sommer im Jahr 2022. Ich bin in Zagreb am British Square, den man in der Alltagssprache nur Britanac nennt. Von hier aus sind es nur zehn Minuten bis zum altberühmten Jelačić Platz. Wir befinden uns mitten im Zentrum der kroatischen Hauptstadt. Es ist Samstag. Am Britanac ist jeden Samstag Flohmarkt. Wenn das Wetter schön ist, sind die vier Cafés auf dem Britanac voll und man findet kaum einen Platz. Ich habe Glück und jemand steht auf, ein älterer Herr. Er geht nach Hause, es ist ihm zu warm. Der Kellner kommt, fährt mit seinem Lappen über den Tisch, nimmt die leeren Gläser und Tassen, schaut zu mir rüber und fragt was ich trinken möchte. Milchkaffee und eine Cola, bitte. Ich setze mich, schlage die Zeitung auf und lese das Interview mit Ivica Maštruko, ehemals Botschafter eines Landes, welches heute nicht mehr existiert, der SFRJ. Er war von 1989 bis 1991 Botschafter beim Heiligen Stuhl.

Er sagt, er habe zahlreiche theologische Diskussionen mit Kardinälen geführt, einschließlich des Papstes selbst. Einer davon sei Ratzinger gewesen. “Aus diesen Gesprächen wurde mir klar”, sagt Maštruko, “dass ein Teil der Kardinäle im Vatikan nicht gläubig sind. Sie haben sich darauf eingelassen und es ist ein Beruf, sie machen nur ihren Job.” Maštruko fährt fort: “Ein Kardinal sagte mir, dass sie keinen gläubigen Botschafter brauchten, weil sie genug Gläubige hätten. Für sie sei wichtig, dass die Person ein Fachmann sei.”

Ein roter Job. Mit Soutane und Zucchetto. Da hat man es jeden Morgen leicht, wenn man vor dem Kleiderschrank steht. Maštruko sagt über sich: “Ich selbst bin auch kein gläubiger Mensch. Ich glaube nicht.”

Ich nehme einen Schluck Kaffee und beobachte die Menschenmenge auf dem Britanac. Die blaue Straßenbahn fährt vorbei und macht einen Höllenlärm. Hölle, Kardinäle und Kirche. Das passt ja, irgendwie.